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Der Graf Viktor und der Schweinehirten vom Brunnen

In einem Harzdorf lebte der Schweinehirt Philipp. Wenn er zwanzig Taler gespart hatte, wollte er seine Braut Liese heiraten. Liese besaß ein bedrucktes Kleid, einen Kuttenmantel und ein Bett. Die Muhme wollte ihr zwei neue Hemden zur Hochzeit schenken. Auch hatte sie vom Vetter selig noch ein Hemd für Philipp bereitgelegt, dazu einen schönen Flicken zum Ausbessern der durchgescheuerten Stellen. Philipp schielte zwar ein wenig, aber er war ein gutmütiger Bursche. Auch konnte er, obwohl der eine Fuß kürzer war als der andere, seine Tanzbeine in der Schenke schwingen wie kein anderer, dass ihm die Harzleute mit Vergnügen zuschauten. Auch Graf oder Fürst Viktor, der auf der Heinrichs- oder Erichsburg wohnte, hatte eine Braut. Liese, des Schweinehirten Liebste, trug die Liebesbriefe des Edelfräuleins und des Grafen gegen Schweigegeld hin und her. Weil Liese niemanden davon erzählte, wurde der Schweinehirt eifersüchtig und lauerte den Grafen eines Tages zwischen Viktorshöhe und Thale auf, versperrte ihm den Weg und forderte ihn auf, seiner Liese nicht mehr nachzustellen. Der Graf lachte von Herzen. Als der Schweinehirt ihm nicht aus dem Wege wich, gab er seinem Pferd die Sporen und ritt über ihn weg. Diese Begebenheit erzählte der Graf zu Hause seinen Diener, der sogleich in den Wald lief und sah, wie der Hirt sich aufgerafft hatte und fort hinkte. Er log aber den Grafen an, Philipp sei tot, er habe ihn im Wald vergraben. Der Graf bereute seine Tat und schrieb seiner Braut einen Abschiedsbrief. An Liese schickte er heimlich zwanzig Taler Schmerzensgeld für den tot geglaubten Bräutigam. Sie freute sich über das Geld, eilte zu Philipp und beschwatzte ihn, davon die Hochzeit auszurichten. Als der Graf einmal im Wald spazieren ging, glaubt er eine Spukgestalt zu sehen: Da stand der Hirt am Waldrand mit seiner Schweineherde, drohte ihm mit der Faust und verschwand rückwärts gehend langsam im Gebüsch. Bald darauf feierten Liese und Philipp Hochzeit. Nach der Kirche schlich das Edelfräulein zu der Waldstelle, wo sie sich oft mit dem Grafen traf. Überrascht sah sie ihn dort sitzen. Er gestand ihr schließlich sein Verbrechen und wollte Buße tun. Da führte sie ihn zum Hochzeitshaus, und durch das Fenster erblickte er den „Ermordeten“ mit Beulen und blauen Flecken im Gesicht beim fröhlichen Zechen. Graf Viktor und das Edelfräulein lachten vergnügt, und kurze Zeit darauf feierten auch sie auf dem Schloss ihre Hochzeit.